Der Nachtrag - weder Nachschlag noch Nackenschlag
Warum das N-Wort so polarisiert. Und Lösungsideen.
Für Bauherren ist ein Nachtrag so unliebsam, als würde man in einem Sternerestaurant nach einem Nachschlag verlangen. Für den vorleistungspflichtigen Bauunternehmer hingegen endet ein Nachtrag nicht selten als Nackenschlag, nämlich vergütungslos.
Keine Regel ohne Ausnahme und manchmal ist auch gar nicht mehr klar, was Regel und was Ausnahme ist. Fakt ist jedoch, dass es bei der Projektrealisation kaum ein anderes Thema geben dürfte, welches derart polarisiert und vor allem Konfliktpotential
für die Vertragsparteien birgt.
Der schlichte Grund: der eine fordert etwas, was der andere nicht geben möchte. Und obwohl genau für diese Situation Verträge
da sind, scheinen sie oft nicht - zumindest nicht im gewünschten Maße - zu einer raschen und beiderseits zufriedenstellenden Lösung beizutragen.
Ursache hierfür mag sein, dass der Vertrag zwar versucht, alle Eventualitäten abzubilden, letztlich aber in einer statischen
Situation zustande kommt und deshalb eben doch nicht sämtliche Eventualitäten abbildet. Die Ausführung hingegen hat ein dynamisches
Moment. Erst in der Ausführung zeigen sich nicht nur die mutmaßlichen Eventualitäten, sondern ganz konkrete, ganz reale Erfordernisse, die auch von dem idealtypischen Soll des Vertrages abweichen.
Und hier kollidieren die unterschiedlichen Auffassungen und Sichtweisen bezüglich dessen, was geschuldet und was nicht geschuldet, sprich zusätzlich zu vergüten ist.
Zwar regelt der Vertrag, meist unter Einbeziehung der VOB, Rechte und Pflichten der Parteien im Umgang mit Nachträgen, aber das dynamische Moment der Ausführung führt zu einer völlig anderen Situation als der des statischen Vertrages.
Während der Ausführung kann für eine Leistung nicht mehr, wie noch bei Vertragsschluss mehr oder weniger einfach definiert werden „geschuldet" oder "nicht geschuldet“. Das dynamische Moment der Ausführung führt zu dem fatalen Ergebnis, dass die wichtige Entscheidung „geschuldet" oder "nicht geschuldet“ nicht rechtzeitig, sondern verspätet erfolgt. Nicht selten kommen erst im Zusammenhang mit der Schlussrechnung
manche, schon vor Jahren erbrachte und per Nachtrag angebotene aber bis dato nicht beauftragte Leistungen zur Abrechnung wieder auf den Tisch. Hierin liegt das große Konfliktpotential von Nachträgen.
Von den Fällen, in denen der Bauherr Nachträge unter Hinweis auf etwaige vertragliche und oft unwirksame Komplettheitsklauseln kategorisch zurückweist, soll hier gar nicht die Rede sein. Und auch nicht von den Fällen, in denen Bauunternehmer dem Bauherrn mit Nachträgen allzu schamlos in die Tasche greifen.
Praxisrelevant sind solche Nachtragskonflikte, die die Chance haben, noch ohne Anwälte und Gerichte beigelegt zu werden. Und dort spielt immer wieder das Thema „Nachweis“ eine ganz zentrale Rolle, schließlich kann dem Bauherrn nicht abgesprochen werden, ein berechtigtes Interesse an der Transparenz und der Prüffähigkeit des Nachtrages zu haben.
Und damit liegt der Ball im Feld des Bauunternehmers. Um die Chancen für die Durchsetzbarkeit
eines Nachtrages zu erhöhen sollte immer auch
· die Veranlassung
(Schriftverkehr zur Dokumentation der Änderung, Anordnung, etc.)
· die Leistungsabweichung
(Bausoll vs. Bauist)
· die Kostenabweichung (Kalkulation, Nachunternehmer-Angebote, etc.)
nachvollziehbar und prüffähig dokumentiert werden. Es ist eben nicht damit getan, nur ein Anschreiben mit der fortlaufenden Nachtragsnummer und ein Nachtragsleistungsverzeichnis vorzulegen.
Die Dokumentation, welcher Umstand den Bauunternehmer überhaupt zur Stellung eines Nachtrages veranlasst
hat, sollte einen Nachtrag einleiten. So wird der Bauherr in das Thema eingeführt. Zudem wird ihm die Gelegenheit gegeben, die Berechtigung des Nachtrages prüfen und nachvollziehen zu können.
Für den Nachweis der Leistungsabweichung, die beispielsweise durch fortgeschriebene Ausführungspläne begründet sind, gibt es Tools, die helfen, die Abweichung von Bausoll und Bauist zu visualisieren. Diese digitalen Hilfsmittel können dabei unterstützen, die Leistungsabweichung nachvollziehbar und prüffähig zu dokumentieren. In Kürze werden wir an dieser Stelle übrigens über die Ergebnisse unseres aktuellen Tests eines solchen äußerst hilfreichen Tools
berichten.
Die Abweichung der Kosten, die sich als Minder- und/oder Mehrkosten darstellt, muss ebenfalls nachvollziehbar und prüffähig sein. Dazu müssen sowohl die Vordersätze, z.B. unter Verwendung der oben genannten visualisierten Leistungsabweichungen, nachvollziehbar und prüffähig hergeleitet werden, als auch die Einheitspreise. Diese können in der Regel unter Bezugnahme auf die Urkalkulation oder, falls diese nicht anwendbar oder verfügbar ist, durch Vorlage von Nachunternehmer-Angeboten mit einer ebenfalls transparenten und prüffähigen Struktur aus Vordersätzen und Einheitspreisen dargelegt werden.
So können Bauherr und Bauunternehmer auch ohne langwierige und kostspielige Rechtsstreitigkeiten doch noch Einigung über berechtigte Mehrvergütungsansprüche erzielen.
Das Gleichnis vom nicht bezahlten Esstisch
Stellen Sie sich vor, Sie möchten sich für Ihr Esszimmer einen schönen, respektablen Massivholztisch zulegen. Sie besprechen mit dem Tischler die Details und beauftragen ihn zu einem Festpreis.
Der Tischler hat bereits begonnen Tischplatte und Tischbeine zusammenzufügen, da kommt ihnen in den Sinn, von dem Tisch doch Abstand nehmen zu wollen (vulgo: Kündigung). Der Tischler nimmt diese Entscheidung mit Bedauern entgegen und kündigt an, den bereits getätigten Aufwand (Material, Lohn) abzurechnen. Er ermittelt die Kosten für das eingekaufte Holz, seine Arbeitsstunden sowie einen kleinen Zuschlag und bittet Sie um Zahlung. Sie hingegen zahlen ihm keinen Cent.
Wieso das, frage ich Sie?
Nun in der Zwischenzeit ist viel passiert: Sie sind inzwischen selbst in der Werkstatt des Tischlers tätig, haben die Tischplatte etwa gekürzt, dafür die Tischbeine etwas verlängert und auch die fehlende Lasur noch aufgebracht.
Und was hat das damit zu tun, dass Sie den Tischler nicht bezahlen?
Das ist ganz einfach, sagen Sie: Ich kann die Rechnung des Tischlers gar nicht prüfen.
Der Gesetzgeber verlangt – und das nehme ich doch gerne mit, dass der Tischler das von ihm eingekaufte und verarbeitete Holz ins Verhältnis setzt zu der Menge Holz, die insgesamt verarbeitet worden ist. Das gleiche gilt auch für den Lohn. Und da der Tischler so nicht abgerechnet hat, sage ich einfach „Sorry, kann ich so nicht prüfen“.
Ein letzter Gedanke: Aber Sie haben doch die Tischplatte gekürzt und die Tischbeine verlängert, wie soll denn der Tischler die endgültig verarbeitete Holzmenge kennen?
Ist das mein Problem? Für mich zählt, dass ich bis heute keinen Cent gezahlt habe und das wird wohl auch einige Zeit noch so bleiben. Breites Grinsen.
Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, es geht nicht um einen Esstisch, sondern um ein Objekt über € 100 Millionen.
Da fehlen mir mindestens die Worte.
Weiterführende Links:
BGH, Urteil vom 04.07.2002 - VII ZR 103/01
Wer bürgt, muss auch prüfen.
Vom (gelegentlichen) Dilemma, eine Bürgschaft in Anspruch nehmen zu müssen.
Eine Baustelle in Deutschland: Ein mehrgeschossiger Wohnungsbau, der Generalunternehmer nach 2 Jahren Bauzeit und 70% Leistungstand insolvent. Der Bauherr beauftragt ein Architekturbüro mit der Fortsetzung der Bauleitung und ehemalige sowie neue Nachunternehmer mit der Restfertigstellung der noch offenen Vertragserfüllungsleistungen. Nach und nach werden gravierende Mängel an der bereits erbrachten Leistung deutlich und die Ersatzvornahme leistenden Unternehmen müssen Nachträge für kostspielige Mängelbeseitigungsleistungen stellen. Über Monate werden Rechnungen beglichen. Die Gesamtauslagen, bestehend aus den Zahlungen an den inzwischen insolventen GU und die mit den Ersatzvornahmen beauftragten Nachunternehmer überschreiten den ursprünglich mit dem Generalunternehmer vereinbarten Pauschalfestpreis. Die Baumaßnahme lässt sich nicht zum ursprünglichen Pauschalfestpreis realisieren. Dem Bauherrn entsteht auf Grund der Insolvenz seines Vertragspartners ein finanzieller Schaden.
Für einen solchen Fall wurde bereits bei Vertragsschluss eine Sicherheit vereinbart. In der Regel wird bei VOB-Verträgen eine Sicherheit für die Erfüllung der Vertragsleistung durch den Unternehmer in Höhe von 10%, manchmal auch nur 5%, vereinbart und durch den Unternehmer in Form von Bürgschaften gestellt. Der Vorteil für den Unternehmer: er erhält 100% seiner Abschlagsrechnungen und muss lediglich eine Avalprämie für die Stellung der Bürgschaft an den Bürgen entrichten. Lassen die Avalrahmen, die einem Unternehmen u.a. auf Grund seiner Bonität eingeräumt werden, den Abruf eines zu „großen“ Avals nicht zu, dann wird auch gerne „gestückelt“. Das heißt in der Praxis, dass der Unternehmer bei mehreren Banken und Kreditversicherern, Bürgschaften in Höhe des maximal möglichen Bürgschaftsbetrages abruft, bis die Gesamthöhe der zu stellenden Sicherheit erreicht ist. Der Bauherr verfügt dann zwar über eine Sicherheit nominal in Höhe von beispielsweise 10% der Nettoauftragssumme, aber in Form eines „bunten Straußes“ von Urkunden verschiedener Institute.
Zurück zu unserem Fall: Der Sicherungsfall ist eingetreten, dem Bauherrn droht oder ist gar bereits ein Schaden entstanden und er begehrt Zahlung aus den Bürgschaften. Dieses erfolgt durch eine sogenannte Inanspruchnahme der Bürgschaften. Der Bauherr muss durch geeigneten Vortrag seine behaupteten Schadensansprüche den jeweiligen Bürgen gegenüber darlegen und prüfbar nachweisen. Der Prozess einer solchen Inanspruchnahme ist technisch und zeitlich nicht zu unterschätzen, wird doch der Vortrag des Bürgschaftsbegünstigten genauestens geprüft - bestenfalls.
Und anderenfalls? Aussitzen. Verklagen lassen. Jedenfalls scheint das vereinzelt durchaus Geschäftspolitik zu sein, natürlich nicht offiziell, aber Branchenkenner kennen die Namen. Das ist nicht nur unprofessionell, sondern schadet langfristig auch der Reputation, denn wer Bürgschaften (gegen Prämie) ausfertigen kann, der sollte auch willens und in der Lage sein, die Inanspruchnahme einer Bürgschaft umfänglich, dass heißt rechtlich, technisch und kaufmännisch, zu prüfen. Diesbezüglich wird es aber nicht allzu selten still. Zu still.
Kein Begünstigter erwartet, dass auf behauptete Ansprüche reflexhaft gezahlt wird – dazu gibt es auch zu viel Missbrauch bei der Inanspruchnahme von Bürgschaften – aber die geltend gemachten Ansprüche zu prüfen und auch einmal einen Ortstermin gemeinsam mit dem Geschädigten durchzuführen, ist sicherlich nicht zu viel verlangt, wenn es um 6 oder 7-stellige Beträge geht.
Der aus einer Bürgschaft Begünstigte ist in der Regel kein Kunde des Bürgen, customer centricity
o.ä. verfängt hier also nicht. Ein Bürge mit einer vorbildlichen claimant journey
hingegen wird wettbewerbs- und zukunftsfähiger sein.
Der eingangs genannte Bauherr soll übrigens ganz dankbar gewesen sein, dass sich nach mehreren Monaten von 3 Bürgen immerhin einer nicht nur gemeldet hat, sondern sogar vor Ort gewesen ist.
@Banken und Kreditversicherer:
Falls Sie bei Ihren Bürgschaftsbegünstigten mit einer claimant journey
durch rasche und kompetente Prüfung von Inanspruchnahmen punkten möchten, sprechen Sie uns gerne an. xIng. Consulting verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der interdisziplinären Prüfung von Bürgschaftsinanspruchnahmen. Als externer Schadenbearbeiter unterstützen wir Sie flexibel, je nach Bedarf und Schadenaufkommen.
Zwei Brücken. Eine Erfolgsgeschichte und eine deutsche Geschichte.
Als ich die Daten zusammentrug, war ich von der Koinzidenz selbst überrascht.
Ich hatte die Nachrichten zum Fortschritt beim Wiederaufbau der
Genua-Brücke vor Augen und andererseits die Meldung über die
Kündigung
der Firma Porr, die mit dem Neubau der Leverkusener Rheinbrücke beauftragt war, als ich mich entschloss, die beiden prominenten Infrastrukturprojekte einmal zu vergleichen.
Beide Brücken waren in den 60er Jahren als 4-spurige Autobahnbrücken mit einer Länge von gut einem Kilometer errichtet worden. Beide Brücken waren als Schrägseilbrücken mit den charakteristischen Pylonen errichtet worden und gehörten bzw. gehören in Italien und in Deutschland jeweils zu den meistbefahrenen und somit wichtigsten Verkehrsbauobjekten.
Am 14.08.2018 kam es bekanntlich zum tragischen Einsturz eines Teils der Morandi-Brücke. Auf Grund der ähnlichen Historie wäre eine vergleichbare Gefährdung der Leverkusener Rheinbrücke nicht abwegig. Und tatsächlich war und ist die Leverkusener Rheinbrücke schon seit Jahren Gegenstand von Sanierungsmaßnahmen und Verkehrsbeschränkungen. Im Gegensatz zum PPP Objekt Morandi-Brücke unterliegen deutsche Brücken aber einem dezidierten Zustandsmonitoring (Bauwerksprüfungen nach DIN 1076). Bislang ist diese Lebensversicherung erfolgreich.
Bemerkenswert ist, was nach dem tragischen Unglück in Italien passierte. Ein umgehender Wiederaufbau der Brücke war schon angesichts der überregionalen Bedeutung der Brücke keine Frage. Nach nur 4 Monaten standen der Entwurf und das ausführende Unternehmen fest. In weiteren 12 Monaten sollte die neue Brücke errichtet sein. Nun werden es wohl doch eher 18 Monate. Geschenkt. Die unternommenen Anstrengungen sind in jedem Fall herausragend, wie schon die Tatsache zeigt, dass an der Errichtung der Brücke 24 Stunden täglich und das 365 Tage im Jahr gearbeitet wird.
Warum ist all dieses interessant? Weil es in Deutschland ein vergleichbare Brücke, mit ebenfalls herausragender verkehrstechnischer Bedeutung gibt. Ihre Geschichte lautet:
Ein Neubau der Leverkusener Rheinbrücke war bereits in 2012 beschlossen worden. Bis zur Beauftragung es Generalunternehmers vergingen dann rd. 5 Jahre. Dass die planmäßige Bauzeit rd. 3 Jahre betrug, geht im Fall der Überquerung des Rheins sicherlich auch darauf zurück, dass dieser nicht wie der schmale Polcevera mittels einer Balkenbrücke, sondern wiederum mit einem seilverspannten Tragwerk überbrückt werden konnte.
Die geplante Fertigstellung des ersten 4-spurigen Abschnittes Ende 2020 verschiebt sich nach der Kündigung der Fa. Porr zunächst auf das Jahr 2023. Weitere Verzögerungen sind wahrscheinlich. Die näheren Hintergründe sind
hier
zu entnehmen. Danach soll die Porr AG zwar angeboten haben, für die Brücke Stahlteile zu verwenden, die aus Ländern der Europäischen Gemeinschaft stammten. Doch die dadurch entstehenden Mehrkosten von 70 Millionen Euro waren dem landeseigenen Betrieb Straßen NRW offenbar zu viel.
Und so trennen sich die Wege zweier im Grunde sehr ähnlicher Brücken: in Italien war ein Unglück der Auslöser für eine beispiellose Mobilisation nationaler Kraftanstrengungen, die es ermöglichten, innerhalb von nur 2 Jahren ein Bauwerk von zentraler und überregionaler verkehrstechnischer Bedeutung zu ersetzen. Eine der meistbefahrenden Autobahnbrücken Deutschlands hingegen stürzt im Jahr Nr. 8 nach der Neubauentscheidung durch die Kündigung des Generalunternehmers in eine noch unsicherere Fertigstellungszukunft.
Ein Claim Klassiker. Oder: Darum braucht man einen Ingenieur.